Einzelhandel ./. Kunden

Blickt man mit etwas Abstand vom Ausland aus auf den Einzelhandel in Deutschland, dann überrascht doch, wie man so viele Jahre eine derartige Wüste hat ertragen können. Letzthin war ich bei Bekannten in Deutschland zu Besuch. Ich hatte die verzwickte Aufgabe, ein Stück biegsames Gummi zu besorgen. Mein Neffe hat ein neues Fahrrad und dessen Lampenbefestigung war für den Lenker zu groß. Jeder dieser Klemmen

liegt üblicherweise ein Stück Gummi bei, mit dem man das Technikteil an den Lenker flanschen kann. Wie das aber nun mal so ist, weiß natürlich keiner mehr, wo das Material abgeblieben ist. Kann doch nicht so schwierig sein, dachte ich mir und fuhr mit dem Neffen im Gepäck zum nächstgelegenen Baumarkt. Ein Gebäude – mehrere Fußballfelder (!) groß.  Dort wird doch wohl was zu finden sein, frohlockte ich. Es fand sich sogar ein Bereich speziell für Radzubehör. Ich erblickte das begehrte Objekt. Leider nur in Kombination mit Radcomputer oder -leuchte. Kurzum, es war kein Gummi auszumachen. Selbst ist der Mann und so arbeiteten wir uns vom Radabteil, zu den Eisenwaren, zum Sanitärbereich, ja sogar bis zur Gärtnerei durch. Nach nunmehr 45 Minuten, in denen natürlich kein Angestellter auch nur ansatzweise seine Hilfe angeboten hatte, versuchte ich unter dem rar gesäten Personal Hilfe zu bekommen. Die erste Kontaktperson beschied mir, sie habe Kundschaft und konnte/wollte mir dem Anschein nach auch im Anschluss nicht helfen. Der andere Angestellte schickte mich zu den Eisenwaren, wo wir soeben herkamen. Und so ging das in einer Tour: wegschicken, keine Verantwortung übernehmen, abwiegeln. Ich war wirklich zornig. Nach circa einer guten Stunde verließen wir den Baumarkt und fuhren zu diversen Fahrradgeschäften. Die Erfahrungen dort waren ähnlich. Ironischerweise schlug man mir vor, einen Baumarkt aufzusuchen. Ich verließ, dem Mitarbeiter dankend, das Geschäft. Immerhin bemühte sich ein auf Rennräder spezialisierter Laden sichtlich mit Vorschlägen zu einer Bastellösung. Das gefiel mir, half jedoch im ersten Moment auch nicht weiter. Schlussendlich entschieden wir uns, einen alten Fahrradschlauch zu opfern und das Gummistück selbst zurechtzuschneiden. Das funktionierte erstaunlich gut und ist insgesamt sehr preiswert.
Diese kleine Episode verdeutlichte mir nach vielen Jahren erneut: Der Einzelhandel in Deutschland muss sterben und ist an seinem Niedergang selbst schuld. Bis auf wenige Ausnahmen für den täglichen Bedarf gibt es keinen Grund, den Einzelhandel auch nur ansatzweise zu unterstützen. Die Preise sind zu hoch, Beratung findet nicht statt, Service ist nicht gegeben und Auswahl besteht kaum. Es gibt Ausnahmen, ganz wenige. Für die mangelnde Auswahl und die höheren Preise kann der Einzelhandel nichts. (Kosten für Personal und Fläche sind nicht zu leugnen.) Das wäre sogar tolerabel, wenn Beratung und Service stimmen würden. Das aber ist nicht der Fall. Die meisten Angestellten sind demotiviert und desinteressiert. Ich kann das menschlich gut nachvollziehen, da ich doch vor etlichen Jahren, während meines Studiums, selbst im Einzelhandel gejobbt habe. Ob den Angestellten dabei bewusst ist, dass sie durch ihr (Nicht-)Handeln das eigene Grab ausheben? Je mehr schlechte Erfahrungen Kunden machen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch sie sich fortan ausschließlich online versorgen.

/sl