Als technikbegeisterter und recht versierter Mensch, der sich auf den meisten Plattformen sicher bewegt, gebe ich auch dem Linux-Betriebssystem immer wieder eine Chance. Gerade die aktuellen Entwicklungen im Bereich KI und immer weiter ausufernder restriktiver Vorgaben durch die Hersteller, lassen einen die Vorteile quelloffener freier Software mehr zu schätzen wissen. Meine ersten Erfahrungen hatte ich mit Suse gemacht. Sie waren ernüchternd. Zwar bekam ich ein weitgehend funktionierendes System angeboten, welches eine schier unüberschaubare Fülle an Anwendungssoftware mitlieferte. Leider jedoch waren die Applikationen und das System derart instabil, dass es sich für einen Jugendlichen nur schwerlich einsetzen ließ. Und bevor der geneigte Leser jetzt völlig zurecht auf den Unterschied zwischen Kernel und darauf aufbauender Anwendungssoftware, resp. Desktopumgebungen hinweist … Mir ist der Unterschied bewusst. Ich komme zu einem späteren Zeitpunkt darauf zurück. Auch bei vielen erneuten Versuchen im Laufe der Jahre bin ich mit dem System nicht warm geworden. Was aber genau stört mich an dem System, bzw. am Gesamtkonstrukt? Was ist der Grund, weshalb sich Linux auf dem Desktop trotz anders lautender Unkenrufe aus den einschlägigen Gemeinschaften nicht durchgesetzt hat und meiner Ansicht nach auch nicht durchsetzen wird?
Nach meinem Dafürhalten sind mitunter drei wesentliche Gründe verantwortlich:
1. Fehlende Orientierung
Wer als wechselwilliger Anwender sich auf den Weg begibt und die Frage beantwortet wissen will, was genau er denn nun tun muss, um Linux zu nutzen, wird mit einer Fülle schier unüberschaubarer Antworten zu diversen Geschmacksrichtungen, Distributionen und Desktopumgebungen konfrontiert. Die Wahl ist schwierig und von enorm vielen Vorurteilen geprägt. Zu jedem Fürsprecher gibt es mindestens 2000 Gegensprecher. Es ist eine Diskussion, die von Überzeugungen und Herabwürdigungen geprägt ist. Entscheidungen, die der Anwender treffen muss, sind unter anderem: Welche Basis wähle ich? Arch, Debian etc. Welche Distribution wähle ich dazu passend: Reines Debian, Ubuntu, Kubuntu, Fedora, Manjaro, Endeavour. Und es werden stündlich mehr. Zu guter Letzt ist auch noch eine Desktopumgebung zu wählen. Also das, womit ich jeden Tag zu arbeiten beabsichtige: Mate, Unity, KDE, Gnome, XFCE sind auch hier nur einige Beispiele. Es ergeben sich unzählige Kombinationen und Ansätze. Die Überforderung ist garantiert. Und sofern der überforderte Anwender sich nun hilfesuchend an eines der einschlägigen Foren wendet, ist er mit dem zweiten Punkt der Linux-Problematik konfrontiert.
2. Die Community
Ihn trifft dann mit voller Härte die toxischste Tech-Gemeinschaft, die es abgesehen vom Heise-Forum im Internet gibt. Ihm wird vorgeworfen, nicht die richtige Systemauswahl getroffen zu haben, nicht hinreichend die Dokumentationen gelesen zu haben, technisch nicht versiert zu sein. Und am besten soll er sich hier verpissen. Insgesamt gute Voraussetzungen, Neulinge für eine neue Plattform zu begeistern. Ich pauschalisiere natürlich. Es gibt selbstredend rar gesäte Ausnahmen. Die zu finden ist allerdings so leicht wie die richtige Kombination aus Basis, Distro und Desktopumgebung.
In vielen Technikforen hört man daher sehr häufig gut gemeint: Nimm einfach ein Linux Mint, damit kann man nicht viel falsch machen. Dieses ist im Wesentlichen auch korrekt. Man kann mit den meisten fertigen Distros nichts falsch machen. Das Problem ist die eingangs erwähnte Ideologisierung. Spätestens an dem Punkt, an dem der Neuling Rückfragen in Foren stellt, wird die Auswahl und feste Entscheidung für eine bestimmte Distro wieder infrage gestellt. Verunsicherung tritt ein und die Gefahr des s.g. “Distro-hoppings”, also dem ständigen, völlig sinnlosen Wechsel der Distributionen, ist gegeben. Es sollte nicht vergessen werden, dass der normale Anwender sich nicht mit dem Rechner um seiner selbst willen beschäftigen möchte, sondern am Gerät Arbeit zu erledigen beabsichtigt. Hier tritt sehr deutlich zu Tage, wie weit der spezialisierte Geist (Nerd) von der Lebenswirklichkeit des einfachen Anwenders entfernt ist. Auch die durchaus berechtigten Sorgen über die Notwendigkeit der zwingenden Nutzung des gefürchteten Terminals werden mit der lapidaren Behauptung, dass heute alles per GUI gehe und keiner mehr ein Terminal benutzen bräuchte, abgebügelt. Meiner Meinung nach ist das die gefährlichste Aussage, die man im Zusammenhang mit Linux treffen kann, schlicht falsch und führt zum dritten Grund für die fehlende Verbreitung auf dem Desktop.
3. Frickelei und Resignation
Selbst wenn ich mich zu Beginn ausschließlich mit Firefox und LibreOffice beschäftige, wird zu irgendeinem Zeitpunkt der Linux-Karriere der Punkt kommen, an dem etwas nicht mehr funktioniert. Mit jeder zusätzlichen Anforderung und jeder zusätzlichen Applikation steigt dieses Risiko. Und in der Regel lassen sich die Probleme nicht mit der einfachen Reinstallation der Applikation lösen. Spätestens jetzt ist der Anwender auf die Hilfsbereitschaft der Foristen angewiesen. Und das Ergebnis wird mit etwas Glück aus zahlreichen gut gemeinten Terminal-Befehlen bestehen. Auch die Aussage, dass Hardware mittlerweile einfach „out of the box“ funktioniere, ist schlichtweg falsch. Hat der Anwender sehr aktuelle Hardware oder nicht stark verbreitete, ist das Risiko sehr hoch, dass es hier zu Problemen kommt. Diese zu lösen, kann eine große Herausforderung sein. Auch wenn die Herstellerfirmen Unterstützung für Linux anbieten, so ist diese meistens auf wenige Distributionen beschränkt, kompliziert und bietet oftmals nicht den gleichen Funktionsumfang wie das Mac- oder Windows-Pendant. Es mag Ausnahmen geben. Aber selbst bei den gemeinhin als gut unterstützt geltenden ThinkPads sind Hardware-Probleme an der Tagesordnung; selbst bei drei/vier Jahre alten Modellen. Von Lüfterproblemen, Batterielaufzeiten, Grafikkartenunterstützung, mangelnder Softwarequalität etc. möchte ich gar nicht erst sprechen. Die Einschränkungen sind nicht wegzudiskutieren. Nein, das Argument, dass man alles konfigurieren könne, lasse ich nicht gelten. Ich erinnere hier noch einmal an die unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten von „Nerd“ und „Normalo“. Und abseits der „Tech-Bubble“, lassen sich nur schwerlich Nachbarn, Freunde und Familienangehörige finden, die derartige Computerprobleme “mal eben so” lösen können. Das Ziel ist die Verbreitung von Linux auf dem Desktop. Und dazu müssen Dinge reibungsloser funktionieren, einheitlicher sein. Nein, man benötigt keine 600 Forks von Firefox. (Ich übertreibe!) Man denke sich aber für für einen Moment in die Welt des Wechselwilligen hinein. Unabhängig, wie ablehnend und nervend er Windows auch findet. Große Lernkurve, viel Anstrengung erforderlich, selbst für die Behebung kleiner Probleme im Rahmen einer oft ungastlichen Community, schlechtere Hardwareunterstützung und regelmäßige Probleme mit der Desktopumgebung. Jeder sagt sich da doch völlig zurecht: Dann kann ich auch bei Windows bleiben. Und es ist völlig unerheblich, ob der Kernel „rock solid“ ist oder nicht. Wenn Anwendungen und Desktopumgebungen regelmäßig Probleme machen, dann ist aus Perspektive des Anwenders Linux instabil. Linux wird immer als Gesamtpaket wahrgenommen werden. Genau, wie jedes andere Betriebssystem auch. Und Belehrungen seitens der Foristen ist hier nicht hilfreich. Es grenzt ja schon an kognitive Dissonanz. Wie kann ich mich als Community permanent darüber beschweren, dass Linux sich nicht auf dem Desktop verbreitet und wirklich alles dafür tun, Neulinge zu vergraulen. Ziel ist die Verbreitung des Systems, nicht die der eigenen vermeintlichen Überlegenheit.
Es wird besser, jedes Jahr. Aber der Weg ist noch sehr weit.
/sl