Mich bedrücken die aktuellen, schon länger im Gange befindlichen Strömungen in der deutschen Politik. Es gab eine Zeit, die noch gar nicht so lange vorüber ist, in der saßen an einem Tisch Menschen mit unterschiedlichen politischen Ansichten. Die einen standen im klassischen Bild links, die anderen rechts. Manche tummelten sich in der Mitte oder fanden Übereinstimmungen in allen Lagern. Wie sehr man sich politisch auch stritt, so war am Ende doch immer klar. Man braucht die gegnerische Position nicht zu teilen, kann sich wunderbar streiten und weiß sich in der Gewissheit, in gegenseitigem Respekt auseinanderzugehen. Natürlich gab es auch früher die Tendenz, Gleichgesinnte zu suchen und politische Lager abzugrenzen. Diese Form der Lagerbildung, die unsere Gesellschaft bis in die tiefsten Schichten hinein spaltet und die ich persönlich als äußerst undemokratisch empfinde, ist neu. Im sogenannten «Kampf gegen rechts» scheint der Blick für den problematischen linken Rand verloren gegangen zu sein. Dieser ist mindestens so radikal und problematisch wie der Rechte. Der Aggressivität nämlich ist es egal, aus welcher Richtung sie kommt. Und unerheblich ist auch, aus welcher Motivation heraus ich einem anderen Schaden zufüge. Was aber anderes hätte man auch erwarten sollen von Generationen, die über Jahrzehnte von linksgerichteten Meinungsbildnern beeinflusst wurden. Hierbei zielt meine Kritik sowohl auf die einschlägige Presse als auch
auf die Lehrer in den Schulen. Wenn maßgeblich nur ein Weg als der einzig Wahre postuliert wird, landet man rasch beim Begriff der Ideologie. Und hierbei ist es auch nachrangig, welche Richtung diese verfolgt. Wie so häufig weist diese die Eigenschaften auf, sich selbst und die Gruppe, der man angehört, zu überhöhen und den vermeintlichen Gegner herabzuwürdigen. Das für sich genommen ist schon problematisch. Es kommt jedoch verschärfend hinzu, dass der ideologisch erfasste Geist sich dieser Erfassung nicht bewusst ist und dem Fanatismus gleich moralisierend und belehrend, teils kämpferisch und aggressiv wirkt. Ein wacher Geist und klarer Blick auf die Situation sind schwer möglich.
Die vertrackte Situation an den Schulen kann ich aus eigener Erfahrung bezeugen: In meinem Geschichtsunterricht gab es einen Mitschüler, der in diesem Fach ein besonderes Interesse und Talent zeigte. Seine Familie kam aus Polen. Und so war es nicht ungewöhnlich, dass dieser einen relativ guten Zugang zur polnischen Kultur und den gesellschaftlichen und politischen Strömungen hatte. Wie üblich kam das Thema Nationalsozialismus alle Jahre wieder auf den Lehrplan. In der mir einwandfrei erinnerlichen Geschichtsstunde nahm der Mitschüler Anstoß daran, wie einseitig über die Gräueltaten der Deutschen in Polen berichtet wurde. Wie stark die polnische Bevölkerung auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch unter den Folgen der deutschen Besatzer zu leiden gehabt hätte. Mich verwunderte seine Kritik sehr und auch die Lehrerin zeigte sich deutlich irritiert. Auf die Rückfrage, wie er das denn meine, entgegnete der Mitschüler selbstbewusst, dass in Polen ganz klar sei, dass «die Russen» nach dem Zweiten Weltkrieg viel mehr Schaden angerichtet hätten, als die Deutschen im ganzen Kriege. Er bezog sich hierbei primär auf Brandschatzungen, Plünderungen und Vergewaltigungen. Daran nahm die Lehrerin deutlich Anstoß und versuchte ihm das Wort abzuschneiden. Der Mitschüler hingegen bestand auf seinem Standpunkt und meinte, dass man das nicht so einfach negieren könne. Es entspräche ja schließlich der Wahrheit. Nun habe ich diese Sichtweise mittlerweile auch schon von anderen polnischen Freunden gehört. Ich kann diese nicht zwar direkt bewerten, gehe aber davon aus, dass insofern unterschiedliche Personen, die einander nicht kennen, Generationen auseinander liegen und doch die gleichen Aussagen treffen, der Möglichkeit nach, die Wahrheit sprechen, was die Wahrnehmung der Situation im eigenen Kulturkreis anbetrifft. Ich maße mir kein Urteil an, nehme die Aussage lediglich als getroffen hin. Die Sachlage ist mir aus dieser Geschichtsstunde nur derart präsent, da mich die auf den Widerstand des Mitschülers folgende Reaktion der Lehrerin nachhaltig geprägt, ja entsetzt hat. Ich werde sie nie vergessen. Sie sagte frei heraus: Das könne man in Deutschland nicht sagen. Und es sei auch unerheblich, was der Wahrheit entspräche. Entscheidend seien einzig die Inhalte, die laut Lehrplan zu vermitteln seien. Über den anschließenden Streit zwischen Mitschüler und Lehrerin braucht hier nicht weiter berichtet zu werden. Sämtliche Teilnehmer der Unterrichtsstunde haben sie nicht unverändert verlassen. Sie fand in der Oberstufe statt und mir war fortan klar, dass Schule nicht die Aufgabe hat neutral Wissen zu vermitteln und die Jugendlichen zu mündigen/kritischen Bürgern zu erziehen, sondern in bestimmten Bereichen Gesinnungen und Fähigkeiten zu formen, die vom aktuellen Zeitgeist getragen werden. Man mag mich für naiv halten. Bis zum Zeitpunkt der Geschichtsstunde hätte ich selbstredend meine Hand dafür ins Feuer gelegt, zu einem kritisch denkenden Wesen erzogen worden zu sein. Gott, sollte ich mich auch später noch geirrt haben.
Aber nicht nur Negatives beabsichtige ich meiner Schulzeit zuzuschreiben. Dem Deutschunterricht verdanke ich einen reflektierten und nach meinem Dafürhalten guten Umgang mit der Tagespresse. Wie diese auszuwählen ist und wie jeder sich ein breit gefächertes, der Objektivität angenähertes Bild vom aktuellen Zeitgeschehen machen kann, lernte ich früh. Und da ich der täglichen Lektüre treu geblieben bin, kann ich auch nicht abstreiten, dass es hier Veränderungen gab, die ich für erwähnenswert halte.
Um eines vorwegzunehmen: In das gleiche Horn zu stoßen, wie viele der sogenannten Verschwörungsanhänger, liegt mir fern. Dennoch kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass eine links-positive Berichterstattung stattfindet. Konträre Meinungen zum gerade populären Weltbild sind nur noch selten zu finden. Unabhängig von meinen politischen Positionen halte ich eine tendenziöse Berichterstattung, gleich welcher Couleur, für problematisch. Zuvorderst sollte es Aufgabe, zumindest der öffentlich-rechtlich finanzierten Anstalten sein, objektiv und ausgewogen zu berichten. Das findet immer seltener statt. Dass ein Blick auf die aktuellen Lagen auch anders ausfallen kann, stellt man leicht fest, sobald man einen Blick in die ausländische Presse wirft. Der Blick auf Deutschland ist hier anders gewichtet. Nahezu erfrischend. Weder ist die gesamte Situation nur düster, noch ist sie ausweglos. Es hagelt harsche Kritik an Gesellschaft und Politik und es ist das gesamte politische Spektrum von rechts-konservativ bis links-grün abgebildet. Insbesondere die Berichterstattung über die Alternative für Deutschland (AfD) ist unaufgeregter. In vielen Fällen wird es als selbstverständlich gegeben angenommen, dass es sowohl am rechten als auch am linken Rand Parteien gibt, mit denen man umgehen lernen muss. Ob die AfD nun eine rechts-konservative, konservative, rechts-extreme oder extreme Partei ist, mögen andere ausführlich erörtern und bewerten. Für mein Demokratieverständnis ist das tatsächlich unerheblich. Am Beispiel des Umgangs mit der AfD lässt sich aber meine Politik-/Demokratieverdrossenheit gut beleuchten. Und hierbei geht es mir nicht nur um die anderen politischen Parteien, sondern auch um die teils hysterischen Anwandlungen in weiten Teilen der Bevölkerung.
«Das könnte mir nie passieren» ist ein Satz, den ich im Zusammenhang vieler Schulstunden oft gehört habe, die sich mit dem Thema Manipulation der Massen und Verführung durch die Nationalsozialisten beschäftigt haben. Ich hielt ihn damals und halte ihn auch heute noch für brandgefährlich und falsch. Glücklicherweise braucht man auch keine großen Verrenkungen mehr zu machen, um etwaige Szenarien zu konstruieren, die die Widersinnigkeit der Aussage belegen. Die Corona-Pandemie hat exemplarisch gezeigt, wie sich fast die ganze Weltbevölkerung hat lenken und in ein bestimmtes Schicksal treiben lassen. Die Richtigkeit und Notwendigkeit der Maßnahmen seien dahingestellt. Ich konstatiere lediglich gesellschaftliche Veränderungen, die Prä-Corona nicht denkbar gewesen wären.
Wenngleich meine Position zumindest in Deutschland auf heftigen Widerstand stoßen könnte, so finde ich doch, dass die Mechanismen des Fanatismus stets die gleichen sind. Menschen, die mit leuchtenden und/oder wütenden Augen gebannt einem Heilsbringer entgegenblicken und gewillt sind, nur in eine Richtung zu schauen. Nicht zugänglich für Kritik unterdrücken sie teils mit roher Gewalt die Andersdenkenden. Gefügig gemacht durch geschickte Ausnutzung der menschlichen Urängste und durch in Aussicht gestellte Erlösung bei Befolgung rigider Regeln. Die Beschränkung der Freiheiten wird nicht mehr als Hemmnis wahrgenommen, sondern als Schutzwall vor – Ja, wovor eigentlich? Vor der Erkenntnis? Vor der Wahrheit? Vor sich selbst? Dem Eingeständnis des Selbstbetruges? Ich weiß es nicht. Im «Kampf gegen rechts» rennt man jedenfalls hierzulande gerne auf die Straßen und brüllt wie die «Kreischfeministen» in den USA gegen alles und nichts. Gegen einen diffusen Feind, von dem man gar nicht so genau weiß, was er so macht und warum er zum Feinde bestimmt wurde. Aber alle sagen, das sei böse. Also marschiert man mit. Schließlich will man sich auf der Seite der Guten wähnen.
Die Seite der Guten, welche Seite ist das eigentlich? Sie ist natürlich ebenso subjektiv, zeitlich und gesellschaftlichen Veränderungen unterworfen wie alle jemals bestandenen Standpunkte. Gut und Böse sind zwei klerikale Kategorien, die fester Bestandteil unseres westlichen Kulturkreises geworden sind. Was dem einen heute sein Freiheitskämpfer, ist dem anderen sein Terrorist. Ich möchte mich hier nicht in falschen Vorstellungen von Gut und Böse verlieren. Klar sollte aber sein, dass die Bewertung dieser Kategorien nicht so leichtfertig vorgenommen werden sollte, wie das heute regelmäßig geschieht. «Offizielle» Medien und sogenannte «Influencer» sind vorschnell dabei, vereinnahmende Urteile über Parteien und Personen zu treffen. Die größte Gefahr bei Letzteren liegt allerdings eher in ihren Fans, wobei sich hier der Kreis zum Fanatismus schließt. Sie folgen blind der Position ihres «Heilands» und dienen ihm als Multiplikator für seine Reichweite. Seine «Schreikolonnen» brechen auf «X» einen «Shitstorm» nach dem anderen los, da sie sich ständig beleidigt und empört fühlen. Und obgleich es sich lediglich um eine Handvoll unbedeutender Schreihälse, die Minderheit einer Minderheit handelt, werden sie von Medienschaffenden und Politkern gleichermaßen gefürchtet. Diese zensieren sich fortan selbst und so erleben wir das weichgespülte Medienecho nichtssagender und nichts meinender Aussagen. Mit einer Ausnahme: dem sogenannten «Kampf gegen rechts». Man könnte meinen, dieser diene nunmehr als Outlet für angestaute Aggressionen. Hier kann man noch so richtig schön politisch inkorrekt draufhauen, ohne einen «Shitstorm» fürchten zu müssen. Dass dies dem politischen Diskurs schadet und dem eigentlichen Kampf einen Bärendienst erweist, scheint gerne und großzügig ausgeblendet zu werden. Das Erstarken der konservativen Kräfte ist auch eine Folge dieser Entwicklungen. Als guter Demokrat sollte ich aber in der Lage sein, mit dieser Situation angemessen umzugehen. Dazu gehört auch, dass man den Wählerwillen nicht einfach ignoriert und so tut, als sei ein Wahlergebnis von 20 % -30 % für die AfD nur eine Randerscheinung, die zu beachten nicht der Mühe wert sei. Ja, mir steht das Recht zu, die Partei mit demokratischen Mitteln auszugrenzen. Ob das klug ist und ob das meinem Ziele zweckdienlich ist, sei dahin gestellt. Ich würde mir wünschen, dass man die AfD gemäß ihrem Ergebnis an der Regierung beteiligt. So hat man zumindest die Möglichkeit zu beobachten, wie die Alternative für Deutschland den «Altparteien» aufzeigt, was sie alles «falsch gemacht haben», wie man es «richtig macht» oder sich selbst zerlegt. Ich bin der festen Überzeugung, dass unsere Demokratie stabil und gefestigt genug ist, mit sämtlichen Erschütterungen umzugehen, denen man sie aussetzt. Was sie nicht gut erträgt, sind hysterische, instabile Politiker und Hasenfüße, die die Realitäten der Zeit leugnen. Sie führen zur Politikverdrossenheit, zur Verachtung und Hass, von denen Kräfte profitieren, die weit rechter stehen und weit radikaler sind, als die, die man aktuell zu bekämpfen versucht.
/sl